Wismut Geschichte: So ein Tor erzielt man nur einmal
Angreifer Ralf Prieger schießt den 1. SV Gera am 12. Juni 1999 zum Thüringer Meistertitel |
Nur ein
einziges Mal in der Vereinsgeschichte wurde die BSG Wismut Gera
Thüringenmeister. Das war in der Saison 1998/99 und der Verein hieß damals noch
1. SV Gera. Entscheidenden Anteil daran hatte ein Angreifer namens Ralf
Prieger. Vor dem letzten Spieltag lagen Gera und der VfB 09 Pößneck punktgleich an der Spitze. Die Pößnecker verfügten aber über das deutlich bessere Torverhältnis, wären also bei einem Erfolg bei Aufsteiger SV Schmalkalden 04 als Landesmeister in die Oberliga aufgerückt. Der 1. SV Gera unter Trainer Rainer Schlutter empfing zeitgleich den SV Motor Altenburg, der auf einem Mittelfeldplatz zu finden war und für den es praktisch um nichts mehr ging. "Die Altenburger haben uns nichts geschenkt. Das waren immer Derbys, bei denen es zur Sache ging", erinnert sich der heute 51-jährige Ralf Prieger, der damals das 1:0 vorbereitete. Nach einem schönen Doppelpass mit Darius Bodjrenou erzielte der Schwarzafrikaner aus dem Benin Mitte der ersten Hälfte den Führungstreffer (27.). Die Skatstädter gaben sich nicht auf und kamen mit dem Pausenpfiff durch Ingo Eibert zum Ausgleich, der aus spitzem Winkel den verdutzten Daniel Eglmeyer überwand (45.). Nach Wiederbeginn ließen bei den Rot-Blauen - so die damaligen Geraer Vereinsfarben - die Kräfte nach. |
Nach einer
Stunde jubelte der Gastgeber erneut. "Daran kann ich mich noch genau
erinnern. Thomas Hohlfeld setzte sich auf der linken Seite durch. Ich bin da
schon auf dem Zahnfleisch gekrochen, lief dem Ball mit letzter Kraft entgegen
und schlenzte ihn mit dem rechten Fuß in Richtung langes Eck. Der Rettungsversuch
des Verteidigers kam zu spät. So ein Tor erzielt man vermutlich nur einmal.
Dass es ein so wichtiges war, war im Nachhinein umso schöner", weiß Ralf
Prieger noch. Bis zum Abpfiff verteidigten die Geraer den wertvollen 2:1-Vorsprung, wobei Altenburg per Freistoß noch die Latte traf. Nach dem Abpfiff in Gera waren in Schmalkalden noch zwei Minuten zu spielen. Die Anspannung war im Stadion der Freundschaft zu spüren, entlud sich aber binnen Sekunden, als der 3:3-Ausrutscher der Pößnecker endgültige Gewissheit wurde. Keinen der knapp 500 Zuschauer hielt es auf den Plätzen. Die Fans stürmten das Feld, wo Routinier Thomas Hohlfeld seinem Trainer Rainer Schlutter im Freudentaumel gleich den Inhalt eines Wasserkanisters über den Kopf schüttete. Als Wolfhardt Tomaschewski vom TFV-Vorstand dann Geras Kapitän Steven Theilig den Landesmeister-Pokal überreichte, brandete der stetige Jubel nochmals besonders auf. Rainer Schlutter gab vor den Fernsehkameras ein Interview nach dem anderen. |
Vereinspräsident
Peter Sobek trugen die Spieler samt Pokal auf ihren Schultern durchs Stadion.
Selbst hart gesottenen Vereinsfunktionären standen Tränen in den Augen.
"Wir hatten damals eine gute Truppe beisammen. Eigentlich sollte das mein
letztes Spiel für Gera sein. Ich wollte aufhören, habe mich dann aber überreden
lassen, noch ein Jahr weiter zu machen. Oberliga wollte ich schon immer
spielen. Das hat mich natürlich gereizt", erinnert sich Ralf
Prieger. 1996 war Ralf Prieger zum 1. SV Gera gekommen. Gerhard Hoppe hatte ihn aus Weida geholt, nachdem er zuvor bereits für Silbitz, Eisenberg und den VfB Gera aufgelaufen war. Doch im letzten Vorbereitungsspiel gegen Jena-Lobeda verletzte sich der gelernte Müller in fünfter Generation schwer am Fuß. Zwei Operationen folgten. Eineinhalb Jahre war an Fußball nicht zu denken. Doch Ralf Prieger kämpfte sich zurück. "Ich musste mich total umstellen. Vor der Verletzung hatte ich viel mit meiner Schnelligkeit erreicht. Danach war ich langsamer, kam nicht mehr an den Gegenspielern vorbei. Also mied ich eher die Zweikämpfe, erreichte aber den gleichen Effekt mit Doppelpässen", so der Hartmannsdorfer. Mit Trainer Rainer Schlutter kam er anfangs nicht ganz so gut zurecht. "Manche Spieler im Team haben nicht gearbeitet oder früh und nachmittags Kindermannschaften betreut. Mit denen konnte ich beim Rundenrennen nach Zeit nicht mithalten, wenn ich vorher drei Tonnen Mehl geschleppt hatte. Das habe ich Rainer Schlutter irgendwann gesagt. Daraufhin sollte ich die Runden nach meiner Uhr laufen. Von da an haben wir uns super verstanden", weiß der Angreifer noch, der mit zehn Toren gemeinsam mit Sturmpartner Rene Treffs erfolgreichster Geraer Schütze der Aufstiegssaison war, in der der 1. SV sowohl auswärts als auch in der Rückrunde ungeschlagen geblieben war. |
27 Spiele
bestritt Ralf Prieger 1998/99. Zweimal fehlte er nach Gelb-Rot-Sperren. Der
Greizer Schiedsrichter Jugl gehörte damals nicht zu seinen Freunden. Als der
Referee war, flog er jeweils vom Platz, einmal weil er sich zu früh aus der
Freistoßmauer gelöst hatte. In der Oberliga-Saison lief es für Wismut nicht nach Wunsch. Man holte im Sommer viele Ausländer, von denen sich aber nur der Tscheche David Sindelar und Andrej Roslyakov als echte Verstärkungen erwiesen. "Die mussten aber spielen. Allein der ukrainische Torwart Vynnychenko hat uns sechs oder sieben Punkte gekostet. Der Trainer hatte da nicht immer das letzte Wort", so Ralf Prieger, der nach dem Weggang von Jörg Palke - bei einer 0:5-Heimpleite gegen Suhl war er vorzeitig vom Platz geflogen und hatte den schimpfenden Zuschauern auf der Tribüne den Mittelfinger gezeigt - für den Rest der Saison die Kapitänsbinde übernahm. "Die vielen Talente im Verein haben damals viel zu wenige Einsatzchancen erhalten. Da war viel mehr drin", weiß Ralf Prieger noch. Auch Trainer Rainer Schlutter überstand die Saison nicht. Durch die Regionalliga-Reform mussten sieben Teams absteigen. Der 1. SV Gera war als 14. mit 29 Punkten und 25:48 Toren darunter. |
Für Ralf
Prieger war anschließend als Spieler Schluss. Als Trainer blieb er der Jagd
nach dem runden Leder treu, begann im Nachwuchs, betreute Elstertal
Silbitz/Crossen in der Landesklasse und ist mittlerweile Co beim
Thüringenligisten Eintracht Eisenberg, wo er hofft, in dieser Saison noch
zweimal auf die BSG Wismut Gera zu treffen, deren Vorgängerverein er vor gut 21
Jahren zur Landesmeisterschaft geschossen hatte. FOTO 1: Im Garten seines Hartmannsdorfer Hofes zeigt der 51-jährige Ralf Prieger das Mannschaftsfoto der Geraer Elf, die er 1999 zum Thüringer Meistertitel schoss. FOTO 2: Wolfhardt Tomaschewski vom TFV-Vorstand übergibt 1999 den Meisterpokal an Kapitän Steven Theilig und Trainer Rainer Schlutter (v.l.). FOTO 3: Oberliga-Aufsteiger 1. SV Gera vor der Saison 1999/2000. FOTO 4: Thomas Hohlfeld und Rene Treffs tragen den damaligen 1. SV-Präsidenten Peter Sobek auf ihren Schultern durchs Stadion. Text und Bilder: Jens Lohse / OTZ / 24.11.2020 |